Es klingelte und Hiroakis Mitschüler standen im Eiltempo auf, um so früh wie möglich auf den Schulhof zu kommen. Er wollte dem Strom folgen, doch auf der Türschwelle hielt ihn plötzlich eine weibliche Hand fest. Es war Frau Coeller. „Hiroaki, ich... Würde gern mit dir reden... Unter vier Augen!"<br />
Er hatte keine Lust auf irgendeine dämliche Diskussion, doch bevor er etwas sagen konnte, bugsierte sie ihn schon ins Lehrerzimmer und schloss die Tür. „Setz dich", befahl sie, und setzte sich auf einen grünen Stuhl, ihm gegenüber. Sie faltete die Hände, und begann dann langsam zu sprechen: „Hiroaki... Wenn es etwas gibt, irgendetwas, ein Problem, zu Hause oder so, über das du reden willst, ich bin immer da, du kannst mir alles sagen, wirklich! Du kannst mir vertrauen!"<br />
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Hiroaki lehnte sich zurück, steckte sich eine Zigarette an, und antwortete mit gleichgültiger Stimme: „Ich hab ihnen gar nix sagen, lassen sie mich doch mit ihrem Scheiß in Frieden!" Dann stand er auf, öffnete die Tür, trat in den Flur und schlug die Tür dann hinter sich wider zu. `Die hat doch voll den Schuss...`, dachte er, während er die Treppen zum Schulhof hinunter stieg. Schon den ganzen Tag hatten seine Mitschüler sich, noch extremer als sonst, von ihm fern gehalten, und nun entstand auch auf dem Hof, ein großer Freiraum um ihn herum. Keiner mochte mit ihm reden, oder ihm auch bloß zu nahe kommen, und er ahnte womit er zu tun hatte. <br />
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Irgendwer hatte etwas von seiner Mutter aufgeschnappt, dann aber doch wieder nicht alles, und es weiter erzählt, etwas perönlich abgeändert. Dann wurde es wieder weitererzählt, und so lange abgeändert, bis von der Wahrheit nicht mehr viel übrig geblieben war. Bei einem Jungen wie Johannes wäre wohl etwas wie: „Seine Mutter ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen", doch weil Hiroakis schlechter Ruf mitspielte, ging bald in der ganzen Schule das Gerücht um, er selbst, habe sie ermordet. Es ging ihm tierisch auf die Nerven, dass alle Fünftklässer ihn ansahen, als sei er ein gefährlicher Verbrecher, ein Mörder, oder einfach nur ein Zombie der ihnen jeden Moment an die Kehle springen konnte. Ihn nervten die sprüche seiner Mitschüler, die Blicke der Lehrer, und überhaupt nervte ihn die Schule an diesem Tag ganz besonders. <br />
Konnte auch daran liegen, dass er zu Joe nach hause wollte, er liess sie nicht gern unbeaufsichtigt. Sie ging noch nicht zur Schule, und würde sich wohl den ganzen Tag langweilen, vielleicht sogar Unsinn anstellen, oder sich in Gefahr bringen. Ihm liess das Ganze keine Ruhe, und er hätte gerne jemanden gehabt, der wärend der Schulzeit auf sie aufpassen konnte. Doch wer sollte das sein? Seine freunde mussten ja immerhin auch in die Schule gehen, bis auf Sakuya natürlich, aber da wäre Josephine wohl allein sicherer. `Bobby...`, überlegte Hiroaki immer wieder. `Bobby kann gut mit Kindern umgehen...` Nach der Schule wollte er ihn fragen, ob er für 3 Euro am Tag auf Joe aufpassen könnte. Diesen Preis würde Hiroaki gern zahlen, das war nicht das Problem. Er hatte sich auf die Bank gesetzt, auf der er vor zwei Tagen mit Sakuya gessen und geplaudert hatte, und zog erneut eine Zigarette heraus, um sie anzustecken. `Meine Fresse...`, dachte er und besah sich seine vom nikotin, gelblichen Fingernägel. `Mit dem Rauchen ist es jetzt auch schon ganz schön extrem geworden...` <br />
Dann blickte er auf die Anderen. Lauter Mädchen, mit reichlich Make-up tuschelten in der einen Ecke, Jungs die Eindruck schinden wollten, päsentierten sich vor Weibern, die ihren Bizeps befühlen wollten. Er drehte den Kopf weg. Bei den Fünftklässlern war auch nichts neues los. Brav standen sie auf ihrem Teil des Schulhofs, die Mädchen plapperten oder spielten fangen, die Jungs kickten einen Fußball aus Alufolie vor sich her. Bei den Bäumen, ganz am Rand sah Hiroaki sager welche, die geheimnisvoll tuschelnd eine Schachtel Zigaretten hervorholten, und sie vor den Lehrern versteckten. `Irgendwie auch schön, so naiv`, er sah wieder zu den Weibern, ....` Bzw. Verblödet zu sein...` Plötzlich erhob er sich. `Wenn ich länger hier bleibe verblöde ich selbst noch!`, dachte er, und ging in Richtung Ausgangstor. Er hatte keine Lust mehr auf Schule, wollte nach hause, oder zu Bobby. Und eigentlich gab es nichts, das ihn hier hielt. Wenn er plötzlich fehlte, würden die Lehrer nur den Kopf schütteln, seine Klassenkameraden würden sich freuen, und so täte er wohl doch etwas Gutes. <br />
Es war gerade mal halb zwölf, und auf den Straßen war wenig los. Niemand, außer einem achzehnjährign Mädchen, einem Fahrradfahrer, und einem Rentner-Paar, begegnete ihm auf seinem Weg in die Innenstadt. Er wollte zur Brücke, zu Bobby. In der Nähe der „Fuck you!" Brücke, hielt er sich eigentlich fast immer auf. <br />
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