Der Schein der Straßenlaternen erhellte den Bürgerstein vor ihren Füßen. Der Himmel war wundervoll, wolkenlos und Sternüberhangen. Er wollte ins seine Wohnung, zu Josephine, Fay könnte mit übernachten, wenn sie wollte. Er dachte an David und Sae, doch irgendwie spielte das alles keine Rolle mehr. Er brauchte nur Fay, nur sie, die er liebte. Solange sie bei ihm blieb, war alles in Ordnung.<br />
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Plötzlich war die Silouette eines jungen Mannes, vor ihnen, zu erkennen. Hiroaki blieb stehen. Die Gestalt kam ein Stück näher, und nun erkannte er auch, wer es war. Marc, ein Typ, den Hiroaki einmal im Heavycorn getroffen hatte. Eigentlich war Marc ihm eher unsymphatisch, er war so ein schlägertyp, doch an diesem Abend hatte Hiroaki kein Geld mehr für seinen Stoff gehabt, und Marc hatte ihm, warum auch immer, 40 Euro geliehen. Ihm war klar, das dieser Typ sein Geld zurück wollte, und, dem Himmel sei dank, hatte Hiroaki noch 50 Euro in der Tasche. Es würde keine Probleme geben. „Hey, Hiroaki", begrüßte Marc ihn. „Ich hoffe du erinnerst dich noch an mich." Er grinste schief. Hiroaki nickte. „Ja, klar. Pass auf, ich geb dir die 40 Euro gleich jetzt zurück, okay?" Er griff nach seiner Geldbörse, zog zwei zwanzig Euro Scheine heraus und reichte sie seinem Gegenüber. Dieser lachte nur. „Was, du glaubst mit 40 Euro isses getan? Was bist du denn fürn Typ? Man, schon mal was von Zinsen gehört?" Hiroaki schloss ruhig die Augen. „Okay, dann geb ich dir eben 50 Euro, zufrieden?" <br />
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Marc hatte sich vor ihm aufgebaut. Er war ein richtig widerlicher Kerl, erinnerte Hiroaki irgendwie an Georg. „Jetzt hör mir mal zu du kleiner Arsch. Ich will 3000 Piepen von dir, hast du kapiert?" Hiroaki starrte ihn an. `Hat der noch alle Tassen im Schrank?` „Ich hab nicht soviel! Was erwartest du denn?!", rief er. Wieder grinste Marc. Das war ein schlechtes Zeichen. „Kennst du das verlassene Industriegebiet, fünf Minuten von hier entfernt? Dort is ein Haus, das is Nummer 50. Dorthin bringst du mir in einer Stunde die 3000 Kröten, kapiert? Wenn nicht, dann...", er lachte wieder, und griff plötzlich nach Fays Arm. Er zog sie zu sich, packte sie fest, und hielt ihr seine linke Hand vor den Mund. Hiroaki wollte anfangen auf ihn einzuschlagen, doch im gleichen Augenblick packten ihn zwei starke Hände von hinten, und hielten ihn fest. „... Werden wir uns ein wenig mit deiner kleinen Freundin hier vergnügen." Hiroaki versuchte nach hinten zu sehen, um fest zu stellen, wer ihn da festhielt. Es schien ein Kumpel von Marc zu sein, genau so ein Muskelprotz. Er hatte keine Chance. „Ihr lasst Fay in Ruhe!", schrie er. „Ich besorg euch das verdammte Geld, aber lasst sie in Ruhe!" Das Grinsen auf Marcs Gesicht wurde breiter. „In einer Stunde, Haus 50 im Industriegebiet. Wenn du rechtzeitig da bist, lassen wir die Kleine ganz sicher in Ruhe." <br />
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Fay strampelte und trat wild um sich, doch Marc hatte sie fest in seinem Griff. Die Angst in ihren Augen konnte Hiroaki nur zu deutlich sehen. Wieder lachte Marc, und dann drehte er Hiroaki den Rücken zu. Langsam aber sicher bugsierte er Fay vor sich her, und ging in Richtung Industriegebiet. „Und vergiss nicht: 3000, nicht mehr und nicht weniger, oder die Kleine ist dran!", rief er im Fortgehen. Hiroaki wollte hinterherrennen, doch er wusste, dass es keinen Zweck hatte. Der andere Typ ließ ihn los, und er blieb einfach dort stehen. „Scheiße...", flüserte er, und starrte zu Boden. `Woher soll ich denn 3000 Kröten nehmen?`, fragte er sich, und sein Herz pochte immer schneller. Da war wieder dieses Gefühl, genau wie damals, als er mi Fay auf diesen Hinterhof gegangen, und von dem Dealer Henry Heroin gekauft hatte. Ihm wurde schlecht, sein ganzes Inneres verkrampfte sich furchtbar. Angestrengt dachte er nach. Er könnte eine Bank überfallen! Aber das war hinrissig, das würde er nie hinkriegen, und schon gar nicht innerhalb einer Stunde. Er könnte zur Polizei gehen! Doch schon in seinem Kopf hörten sich die Worte lächerlich an. Was sollte er denn sagen? „Ein Typ hat meine Freundin gekidnappt, weil ich ihm die Schulden für mein Heroin nicht zurückzahlen kann", oder wie? `Selbst wenn ich dafür im Knast lande... Ich muss Fay da rausholen!` Dann dachte er an Joe. Die arme, kleine Josephine, hatte er ihr nicht schon genug angetan? <br />
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Er könnte Sakuya suchen! Sakuya hatte immer soviel Geld! Wenn Hiroaki ihm die Situation erklären würde, würde er ihm die 3000 Euro sicher borgen. Das war wohl die einzige Möglichkeit. Also rannte er, so schnell er konnte los, den Weg, den er und Fay gegangen waren zurück, bis zum Heavycorn. Er stürmte hinein, zu dem Tisch, an dem er und die Anderen noch vor einer halben Stunde gesessen hatten. Aber da saßen nur noch Sae und David. „Wo ist Sakuya?", rief er ihnen schon von Weitem zu. Sae drehte ihren Kopf in eine andere Richtung. „Er ist schon nach hause gefahren..."<br />
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Nein! Das durfte nicht wahr sein, das konnte nicht wahr sein! Zu Sakuya brauchte man zu Fuß bestimmt fast eine halbe Stunde! Er würde niemals rechtzeitig zurück sein! Hiroaki drehte sich auf dem Absatz um, und stürzte hinaus. Es war egal, ob es unmöglich war oder nicht! Es musste es einfach versuchen!<br />
Inzwischen hatte es angefangen zu regnen, und die Tropfen durchnässten Hiroaki von Kopf bis Fuß. Es war ihm egal. Er rannte, einfach nur, eilte durch Seitengassen, jagte die verlassenen Straßen entlang. Es waren höchstens zwanzig Minuten, doch ihm kam es vor wie eine Ewigkeit. Dann sah er das Haus, in dem Dan und Sakuya lebten. Er suchte hektisch den Namen Togashi bei der Liste von Klingeln, dann fand er ihn, und drückte den daneben angebrachten Klingelknopf. Er wartete. Sein Atem ging schnell, sei es vor Aufregung, oder weil er schneller gerannt war, als jemals zuvor in seinem Leben. Doch es geschah nichts. Er betätigte die Klingel noch einmal, und noch einmal, dann hämmerte er wie wild gegen die Eingangstür. „Sakuya! Verdammt, mach die verdammte Tür auf!", schrie er, und klingelte wieder. Seine Fäuste pochten mit einer solchen Wucht gegen das Holz, dass er glaubte, es würde jeden Augenblick brechen. „Mach auf, Sakuya! Verdammt noch mal, mach endlich auf!" Langsam liefen Tränen seine Wangen hinunter, er hörte nicht auf. „Mach auf...", seine Stimme wurde schwächer. „Bitte mach auf..."