Neuntes Kapitel<br />
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Innere Stimmen<br />
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„Und deshalb verfügen Wir, dass alle noch nicht betroffenen Gebiete jene Seelen aufnehmen, die dem Nichts entronnen sind. Weiters werden alle Gebiete, welche dem Nichts am nächsten sind, evakuiert“, diktierte Koenma mit entschlossener Stimme, während er auf dem Schreitisch hin und her schritt. Sein rundes Babygesicht war sehr ernst und er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt. <br />
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Der grüne Dämon wischte sich den Schweiß von der Stirn und kratzte sich zwischen den Hörnern. Dieses Dekret würde im Reich der Seelen viel Unfrieden stiften, vor allem da der Raum immer enger und enger wurde. Schon jetzt gab es hundertfach Alarm aus der Menschenwelt, dass sich viele Seelen einfach an die Oberfläche verzogen hatten und sich an bestimmten heiligen Orten, besonders Shinto Schreinen und Buddhistischen Tempeln sammelten, zum Schrecken jener sensibler Menschen, die sich beim Beten plötzlich durchscheinender Gesellschaft gegenüber sahen.<br />
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Koenma war längst am Ende seiner Weisheit angelangt und sein Vater, der mächtige Enma versuchte auf seine Art das Nichts einzudämmen. Koenma war sich nicht sicher, ob das Nichts ohne König Enmas Bemühungen nicht schon längst mehr vom Jenseits verschlungen hätte. Auf jeden Fall war er dankbar, dass sein Vater alle Hände voll zu tun hatte und offenbar zu beschäftigt war, um nach einem Schuldigen für das ganze Dilemma zu suchen.<br />
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Mit einem tiefen Seufzer ließ sich Koenma in den Sessel fallen und starrte gedankenverloren vor sich hin. Obwohl er sich nicht einer konkreten Schuld bewusst war, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass er die Anwesenheit dieses fehlgeleiteten, begabten Menschen hätte früher merken müssen. War es nicht seine Aufgabe, zu verhindern dass sich Jenseits und Diesseits mischten? Hatte er damals nicht deshalb Yusuke und seine Freunde als Team ins Rennen geschickt um ein Übergreifen des Jenseits bzw. der Dämonenwelt auf die Welt der Menschen zu verhindern? War er zu sehr darauf bedacht gewesen, die Menschen vor den Seelen und Dämonen zu schützen und hatte vergessen, dass auch umgekehrt eine Katastrophe möglich war? Yusuke, Kuwabara und andere Menschen hatten bereits die Grenze übertreten. Menschen waren unberechenbar, er hätte besser aufpassen müssen...<br />
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„War das alles, Koenma-sama?“, fragte der Dämon vorsichtig und klemmte sich den Stift hinter das Ohr. <br />
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Koenma schreckte aus seinen Gedanken hoch und hüpfte vom Sessel. Ein wenig Konzentration und er war wieder der gut aussehende Junge. Er öffnete die geheime Kammer und entnahm das goldene Namenssiegel seines Vaters. Neben dem schwarzen Video und der Goldenen DVD war dies ein weiterer äußerst kostbarer Gegenstand, der schon einmal zu einem von Yusukes Abenteuern geführt hatte. Auch damals hatte es hoffnungslos ausgesehen und dennoch... dass das Siegel wieder an seinem Platz lag, war doch schon Beweis, dass Menschen zu unglaublichen Dingen fähig waren. <br />
Mit etwas mehr Hoffnung drückte er das Siegel auf das Dokument. Im selben Augenblick erschienen unzählige Kopien davon in allen Gebieten des Jenseits. Sie klebten sich selbst an Felsen, Mauern und Bäume, sodass jede Seele von Koenmas Anordnungen erfuhr und sich danach richten konnte.<br />
„Danke, das war vorerst alles“, sagte Koenma und schickte den Schreibdämonen fort. <br />
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Er blickte auf den Stapel von Dokumenten, der noch gesiegelt werden musste. Nicht mit dem goldenen Siegel, sondern mit dem roten, seinem eigenen. Doch wie so oft fehlte ihm die Lust, auch nur eines der Blätter in die Hand zu nehmen. Zu sehr lag die jetzige Krise auf seiner Seele. Wie von selbst glitt seine Hand zu der Fernbedienung, die er zuvor extra wegen dem Dekret zur Seite gelegt hatte. Seine Finger fanden rasch die Knöpfe und vor ihm tauchten die verseuchten Gegenden, eine nach der anderen auf. Fünfunddreißig Prozent des Jenseits waren verschwunden. Wie lange würde es dauern, bis selbst der Palast nicht mehr war?<br />
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In diesem Augenblick tat es einen Knall und zwei schwere Körper plumpsten vor seinem Schreibtisch auf den Boden. Koenma ließ vor Schreck die Fernbedienung fallen. Er beugte sich über die Tischplatte. „Was soll das?“, fragte er unwirsch, doch jede weitere Bemerkung blieb ihm im Halse stecken.<br />
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Goku und Doguro lagen regungslos auf den grau polierten Steinplatten, Blut rann aus zahlreichen Wunden und sie atmeten schwach und unregelmäßig.<br />
„Du liebes Bisschen!“, hauchte Koenma und umrundete den Schreibtisch. Vor den beiden schwer verletzten Gestalten ließ er sich auf die Knie nieder und nahm den Schnuller aus seinem Mund. Wie schon damals in jener Höhle, wo Yusuke den Kampf schon verloren hatte und er, Koenma, glaubte an seiner Stelle dem Schrecken Einhalt gebieten zu müssen, leuchtete der geheimnisvolle Gegenstand, der nur auf den ersten Blick wie ein Schnuller aussah, auf. Die Kräfte, die Koenma die ganze Zeit über in ihn hatte fließen lassen, gab er zu einem kleinen Teil wieder frei und grünes, heilsames Licht hüllte den Saiyajin und den Dämon ein. Ihre Wunden schlossen sich, ihre Atemzüge wurden ruhig und tief und eine gesunde Farbe kehrte in ihre vormals graue Haut zurück.<br />
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Goku war der erste, der seine Augen aufschlug. Er gähnte ungeniert und streckte sich. „Koenma“, fragte er verwundert, drehte seine Arme und fuhr sich über das Gesicht, „gibt es hier auch magische Bohnen?“ <br />
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„Nein, aber ein paar Kleinigkeiten kann ich auch“, sagte Koenma und lächelte. „Gute Arbeit Goku, du hast Doguro den Klauen der Hölle entrissen.“<br />
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„Werden sie nicht hier nach mir suchen?“, mischte sich Doguro ein und richtete sich langsam auf. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so einfach aufgeben, so wie sie hinter mir her waren.“<br />
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„Die Aufgabe der Höllenwärter endet an der Grenze der Hölle“, sagte Koenma. „Gut möglich, dass sie mich mit Protestschreiben eindecken, aber du warst nur eine Seele von vielen, die dort büßen müssen. Außerdem ist auch die Hölle nicht gefeit gegen das Nichts. Wenn meine Berechnungen stimmen, müsste gleich mal der erste Randbereich der Hölle Löcher bekommen.“<br />
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„Dann gibt es diese Bedrohung also wirklich“, murmelte Doguro und stemmte sich hoch. Sein Blick glitt über die Bildschirme, welche die betroffenen Gebiete zeigten. „Und wie geht es weiter?“<br />
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Koenmas Blick glitt über die betroffenen Gesichter der beiden Männer. Waren sie schon soweit?<br />
Seine Hand griff nach der Fernbedienung und er schaltete die beiden letzten Schirme ein.<br />
Der eine zeigte die Blutfestung, den Sitz ihrer Feinde, die andere einen dunklen Höhleneingang in einem Wald.<br />
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Wie erwartet konzentrierten sich die beiden Kämpfer zuerst auf den Feind. Die riesigen Mengen von Dämonen die in grotesk aussehenden Zelten und Hütten rings um die Burg campierten war nicht zu übersehen.<br />
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„Ihr werdet euch da durch kämpfen müssen, um an den Kern des Übels vordringen zu können“, sagte Koenma ruhig. „Das sind zwar keine Dämonen der Klasse A, aber ihre Zahl allein könnte euch in Gefahr bringen. Vor allem, da ihr beide ziemlich aus dem Training seid.“<br />
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„Wir haben gerade erst die Hölle hinter uns gelassen“, sagte Goku zuversichtlich. „Das schaffen wir schon.“<br />
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„Ach ja?“ Koenma trat vor die beiden hin. Sie überragten ihn bei weitem. Ohne ein Zeichen von Furcht holte er kurz aus und seine rechte Faust traf den massigen Oberkörper Doguors genau über dem Brustbein. Normalerweise hätte das Doguro kaum gespürt und als Antwort nur eine Augenbraue spöttisch gehoben. Doch im Augenblick war er weit unter dem, was er selbst in seiner Zeit als Mensch an Kraft hatte aufbieten können. Der Schlag Koenmas ließ ihn röchelnd in die Knie brechen und nach Luft schnappen.<br />
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Goku starrte seinen neu gewonnen Kampfgefährten lediglich ungläubig an, dann wanderte sein Blick auf Koenmas Faust. Konnte dieser schmächtige Bursche so viel Kampfkraft getarnt haben? Er kam nicht dazu, sich weitere Gedanken darüber zu machen, denn schon wandte sich Enma ihm zu. Ehe er reagieren konnte, traf Koenmas Faust sein Brustbein an der gleichen Stelle und mit verwundert aufgerissenen Augen ging er nach Luft schnappend in die Knie.<br />
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„So, ihr beiden Helden“, sagte der Sohn des Königs der Unterwelt, die Arme vor der Brust verschränkend, „und jetzt möchte ich noch einmal hören, dass ihr in eurem Zustand eine ganze Dämonenarmee vernichten könnt.“<br />
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„Vielleicht sollten wir zuerst mal etwas essen“, keuchte Goku. „Ich habe seit meinem Tod keine anständige Mahlzeit gehabt. Kein Wunder, dass ich immer schwächer geworden bin...“<br />
„Und ein kleines Nickerchen täte vielleicht auch gut“, stimmte ihm Doguro zu. „Ich habe mich in der Hölle immer nach einem erholsamen Schlaf gesehnt.“<br />
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„Was zu essen könnt ihr haben“, sagte Koenma grinsend und schnippte mit den Fingern. Sogleich flog die große Türe auf und ein gutes Dutzend Dämonen rollte ebenso viele große Servierwagen herein. Glänzende Deckel wurden von großen Servierplatten gehoben und der Duft der unterschiedlichsten Gerichte erfüllte das Arbeitszimmer. <br />
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„Langt zu!“, forderte Koenma die beiden auf und trat zur Seite. Goku ließ sich nicht zweimal bitten. Mit Augen, deren Glanz jener der edlen Kristallgläser übertraf stürzte er sich auf die Leckereien. Die Stäbchen waren rasch gefunden und flink schaufelte er Fleisch, Gemüse und Reis in sich hinein.<br />
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„An deiner Stelle würde ich nicht trödeln“, sagte Koenma zu Doguro. „Sonst ist nichts mehr da.“<br />
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„Aber