nicht immer ausflucht sein. <br />
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Wahrscheinlich hatte ich Angst vor einer patzigen Antwort, vor einem: „Das geht dich gar nichts an“ Ja, so etwas würde ich von Nini erwarten. Sie ist für mich ein Rätsel. Und doch ist sie Teil der Gruppe. Ich akzeptiere sie, wie die anderen auch. Jeder hat seine Macken, aber Ninis sind extremer. <br />
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Irgendwie mag ich sie, trotz ihrer Macken. Aber andererseits hasse ich sie. Sie bringt nur Unruhe in die Gruppe, braucht immer eine Extrawurst und das Schlimmste: Ich merke, wie sie mir Tala immer mehr wegnimmt. Natürlich, Tala ist nicht mein Eigentum, er kann machen, was er für richtig hält, aber es tut weh. Ich sehe, wie er sich immer weiter von mir entfernt. Wie er sich nur noch um Nini kümmert. Wir haben bisher fast nichts mehr gesprochen! <br />
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Oder liegt es an mir? Ich habe Tala schließlich angelogen! Ich glaube nicht mehr daran, dass das hier ein Test ist. Boris würde sich nie so etwas Absurdes ausdenken. Warum habe ich ihn angelogen? Ich wollte ihm seine Illusion nicht nehmen. Ich bin mir sicher, dass er sich daran klammert, auch wenn er sagt, er glaubt nicht mehr daran. Die Abtei verbannt man nicht so einfach aus seinem Verstand! Ich merke selbst, wie ich mich immer wieder hinter Dingen der Abtei verstecke. Sie liegen mir im Blut. Aber ich will nur das Beste für meinen Freund! Wenn er denkt, Nini ist das Beste, dann ist es okay! Wenn er glücklich ist, dann ist es okay! Denn Freundschaft bedeutet für mich, dass der andere glücklich ist. Ich weiß, es wird mir weh tun. Mehr als alles andere. Zumal ich jetzt nicht Dranzer habe. Wieder fühle ich mich so allein. <br />
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Und deshalb hasse ich Nini! Weil ich Angst habe, verletzt zu werden und dass sie Tala verletzt! Und doch tut sie mir im Moment leid. Ich kann sehen, wie sie leidet. Ich sehe den seelischen Schmerz in ihren Augen. Die Augen sagen viel über einen Menschen aus. Nur mit viel Training kann man seine Gefühle verbergen. So wie ich und auch Tala! Nur Tala kann es nicht so gut wie ich. Ich bin froh, dass ich es kann. Es versteckt meine Weichheit. Ich muss stark sein. Für die Gruppe! Ansonsten würde wie wohl ziellos umherirren. Ich muss sie zusammenhalten! <br />
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Ich sehe die gefrorenen Tränen auf Ninis Wangen. Ich beneide sie! Sie darf weinen. Sie darf Schwäche zeigen. Ich darf es nicht! Es ist genauso, wie bei Eltern. Sie dürfen ihren Kindern nie zeigen, dass sie Angst haben, denn dann sind diese total hilflos. Ich will die anderen beschützen! Egal ob sie Nini, Tala oder Jenny heißen! <br />
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Ich ziehe meinen Mantel aus, nehme Nini das Fell von den Schultern und hänge ihr den Mantel um. Tala und Jenny schauen mich an. Sie sind erstaunt und verwirrt. Ja, sie kennen mein Inneres nicht, und sie sollen es nicht kennen! Jenny nicht, weil ich sie noch nicht lang genug kenne und Tala, weil ich Angst habe, dass er mich noch mehr verletzt, wenn er dann geht. Sie sollen nicht meine Schwäche sehen. Ich drehe mich um und gehe vor raus. Die anderen folgen mir, ich höre es an dem Knirschen des Schnees unter ihren Füßen. <br />
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Plötzlich kommt ein eisiger Wind auf. Ich bin viel gewohnt, aber auch meine Kraft hat auch ihre Grenzen. Also lege ich mir das Fell über die Schulter und ziehe es eng an mich. <br />
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Ich bleibe stehen und schaue mich um. Wir sind in einem kleinen Tannenwäldchen. Hier sind wir einigermaßen vorm Wind geschützt. Also sage ich Tala Bescheid und fange an mit meinem Messer Blöcke aus dem Schnee zu schneiden. Tala hilft mir. Nach einiger Zeit haben wir das Iglu fertig und gehen hinein. Tala bleibt draußen und hält Wache. Ich lege mich sofort hin und schließe die Augen. Ich will nicht länger über die Dinge nachdenken. Ich will einfach nur schlafen. Warum kann ich nicht einmal in einen tiefen Traumlosen Schlaf fallen? <br />
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Nein, bei jedem kleinen Geräusch wache ich auf und fast jede Nacht quälen mich diese Träume. Diese Erinnerungen, die tief in meinem Inneren vergraben sind. Und wenn ich am schwächsten bin, kommen sie zum Vorschein. Wenn ich schlafe kann ich mich nicht wehren. Ich kann nur zuschauen und leiden. Bei diesen Gedanken schlafe ich ein. <br />
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Ich sehe sie vor mir! Sie schauen mich lachend an. Ob sie auch Angst haben, es mir aber nicht zeigen wollen? Ich bin mir sicher, dass sie Angst haben! Ich bin noch klein, aber ich kann es in ihren Augen sehen. Und plötzlich kommen diese schwarzen Gestalten. Sie stechen mit Messern auf sie ein. Und ich kann nur dastehen, und zuschauen. Kann mich nicht mehr bewegen. Ihre leblosen Körper fallen in den Schnee. Er färbt sich rot, saugt das Blut langsam auf. Ihre Augen sind starr aufgerissen. Es ist, als würden sie mich anstarren. Etwas kaltes rinnt meine Wangen herunter, doch ich merke es gar nicht. Ich sehe sie nur an. Einer der Schwarzen lacht. Es klingt kalt. Ich habe keine Angst. Nein, ich habe keine Angst vor dem Tod! Ich fühle nur Schmerz! Er frisst mich von innen auf. Und dann kommen die Gestalten auf mich zu. <br />
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Schweißgebadet wache ich auf. Meine Augen tränen und mein Herz brennt. Ich hasse diese Träume! Sie tun so weh! Das einzige, was mich damals von einem Selbstmord abgehalten hat, war Dranzer. Und nun ist er nicht da. Ich fühle mich so allein. Tala entfernt sich immer mehr von mir. Ich will nicht mehr alleine sein! Ich habe es satt stark zu sein! Aber ich muss mich zusammenreißen! Die anderen dürfen nichts merken! Ich tue es um ihretwillen. Auch wenn sie es nicht wissen und deshalb nicht würdigen. Ich wische meine Tränen weg und stehe auf. Ich löse Tala ab und starre in die Dunkelheit. Nur der Schnee erhellt es. Doch er ist trügerisch! Er sieht so rein aus, und doch saugt er alles Schlimme mit Freuden auf! <br />
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Als es dämmert stehe ich auf. Vielleicht kann ich ein Schneekaninchen fangen. Oder irgendein anderes Tier. Ich laufe weiter in den Wald hinein. Irgendwo setze ich mich hin und warte. Irgendein Tier wird hoffentlich vorbeikommen. Also bleibe ich sitzen. Plötzlich höre ich ein Rascheln. Langsam wende ich den Kopf. Ein Rebhuhn! Es ist weiß, aber diese Tarnung bringt nicht viel, wenn man es entdeckt hat. Es pickt im Schnee herum. Plötzlich springe ich auf und halte es fest. Mit einem gezielten Schnitt schneide ich ihm die Kehle durch und es ist tot. <br />
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Ich nehme das Fell ab und fange an das Huhn zu rupfen. Ohne das Fell ist mir zwar sehr kalt, aber irgendwie muss ich die Federn transportierten! Mit dem ausgenommenen Rebhuhn kehre ich zum Iglu zurück. Tala und Nini sitzen am Feuer. <br />
„Wo ist Jenny?“, frage ich. <br />
„Sie ist spazieren“, antwortet Tala. Ich weiß nicht warum, aber mein Blick wandert zum Himmel. Schwarze Wolken türmen sich auf. Ich bin mir sicher, dass es bald einen Schneesturm geben wird! Und zwar ein sehr starker! Selbst ich würde darin die Orientierung verlieren! Hoffentlich ist Jenny noch nicht zu weit weg! <br />
„In welche Richtung ist sie gegangen? Und wie lange ist sie schon weg? Ich bin mir sicher, dass es bald einen starken Schneesturm gibt und dann ist sie verloren!“, sage ich. Ich merke, wie meine Stimme leicht zittert. Nun sieht aus Tala zum Himmel und seine Miene wird besorgt. <br />
„Sie ist schon länger weg! Schon seit ein paar Stunden! Sie ist in diese Richtung gegangen!“, meint er. Verdammt! Jenny darf nichts passieren! Ich muss sie suchen! Warum ist sie auch in die Ebene gegangen? Dort ist sie noch ungeschützter, als im Wald! Ich lasse das Rebhuhn und das Fell fallen und laufe los. Die ersten Schneeflocken fallen und in mir breitet sich Panik aus. Doch ich laufe weiter. Tala und Nini bleiben in der Nähe des Iglus. Aber ich renne weiter in die Ebene hinein. <br />
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Der Schneesturm wird stärker. Die Flocken tanzen um mein Gesicht und ich merke, dass ich stark friere. Eine Gänsehaut hat sich auf meinen Armen gebildet und in meinem Haar hängt Schnee. In mir herrscht ein Kampf. Einerseits will ich Jenny suchen und andererseits muss ich zurück zum Iglu. Es bringt nichts, wenn ich mich auch im Schneesturm verirre! Vielleicht ist sie ja schon beim Iglu! <br />
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Doch an Ninis und Talas Gesichtern, sehe ich, dass sie noch nicht da ist. Der Schneesturm ist nun so stark, dass man nur ein paar Meter weit sehen kann. Aber ich muss Jenny finden! Ich kann es mir nicht verzeihen, wenn sie stirbt! Ich will wieder in den Schneesturm laufen, doch plötzlich merke ich, wie mich jemand festhält. <br />
„Las mich los! Ich muss sie finden!“, knurre ich. <br />
„Nein! Das ist Selbstmord! Wir können nichts für Jenny tun!“ Ich drehe mich um und schaue in Ninis Augen. Sie schimmern feucht und ich kann Trauer und Angst darin erkennen. Sie macht sich Sorgen um mich? In jeder anderen Situation hätte ich mich mehr darüber gewundert, aber ich registriere es gar nicht richtig. <br />
„Sie hat Recht, Kai!“, meint Tala. <br />
Aber was soll ich machen? Es ist meine Schuld! Wäre ich nicht jagen gegangen, dann hätte ich Jenny sagen können, dass sie nicht zu weit weggehen soll! Ich hasse mich! Ich hasse diese Hilflosigkeit! Und doch kann ich nichts machen! <br />
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Ich merke nicht, dass ich immer im Kreis laufe. Wie ein Tiger in einem kleinen Käfig. Die Hilflosigkeit breitet sich immer weiter aus. Ich kann nichts machen! Ich muss hier rum stehen und in meinen Gedanken stirbt Jenny schreckliche Tode! Und wieder ist es der Schnee! Er versucht es zu verschleiern, doch er schafft es nicht! Denn er wird immer die Farbe der Toten annehmen! Seine Kälte dringt in sie. Er hypnotisiert und senkt den Lebenswillen. <br />
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Ich fühle mich so hilflos. Dieses beklemmende Gefühl. Ich will handeln, aber ich kann nicht! Wieder bin ich starr! Wieder bin ich hilflos! Wie damals! Ich konnte meinen Eltern nicht helfen! Und jetzt kann ich Jenny nicht helfen! Ich muss zusehen. Mein Herz brennt.